Zuletzt aktualisiert am 18. September 2024 um 11:33
Vorgestern las ich in einer geschlossenen Branchengruppe einen Artikel, in dem ein bekennender Neuling Kollegen um Rat fragte:
Wie habt ihr eure Kunden bekommen?
Wie habt ihr euch bekannt gemacht?
Wie waren die ersten Jahre?
Wie viel Werbung ist gut?
Freundlicherweise haben viele seiner Kollegen diesen Beitrag kommentiert.
Natürlich war ich erst einmal ein bisschen angezickt.
Warum stellt er diese Fragen nicht einer Werbeagentur, am Besten meiner?
Hallo? Es gibt Menschen, die sich damit professionell beschäftigen. Deren Job ist es, diese und andere Fragen nicht nur zu stellen, sondern auch individuell, kundenspezifisch zu beantworten. Das ist nicht mal eben so aus dem Ärmel geschüttelt – das ist Arbeit!
Und jetzt kommen wildfremde Möchtegernwerber aus ihren Löchern, und glauben, schlaue Tipps geben zu müssen?
Ich habe mich dann auch bald wieder abgeregt. Warum soll ein Frischling nicht mit ein paar Erfahrungen reifer Kollegen hantieren. Auch was andere sagen, muss ja nicht schlecht sein. Vielleicht hilft es ihm ja.
Das ist auch bei Fischen und Vögeln so: In der Gruppe, hier Schwarm, addiert sich das Individuum mit Gleichen zu einer Gemeinschaft, die auf andere wie ein Großes wirkt und ob der Dimension den Jäger abschreckt. Schwarmintelligenz sehr kurz erklärt. Klar, das Wissen von vielen ist größer als das Wissen eines Einzelnen. Egal, ob Frischling oder alter Hase. Die Masse macht’s halt.
Aber ist das jetzt der Tod des Fachmanns? Was ist mit dem über Jahrzehnten Gelernten und der in vielfachem täglichen Einsatz bewiesene Kompetenz? Ist Beratung ein Auslaufmodell? Bin ich gerade Zeuge des Untergangs meiner Branche?
Pause.
Ich lag abends im Bett und war schon fast eingeschlafen, als mir ein Bild in denn Sinn kam und mich nicht mehr losließ. Plötzlich war ich hellwach.
Ich sah den kleinen Prinz auf einem Felsen im Meer sitzen. Weit und breit nur Wasser. Allein saß er da und wusste nicht weiter, wohin er auch schaute, Wasser bis zu Horizont.
(In meinem Bild ist der Prinz der Unternehmer, der Fels seine aktuelle Situation und das Meer seine Möglichkeiten.)
Klar, er kann ja schwimmen und muss sich bloß eine Richtung aussuchen und los schwimmen. Irgendwo wird hinter dem Horizont schon das gelobte Land (der Unternehmenserfolg) auf ihn warten.
Weil er aber nicht weiß, in welche Richtung er schwimmen soll, fragt er Mitglieder aus seiner Berufsgruppe, die ihm auch gleich kollegial Tipps geben: Schwimm gerade aus. Schwimm nach Osten. Nee, besser nach links. Wir schwimmen immer nach da. Warte auf ein Schiff. Bleib besser auf dem Trockenen – und so weiter und so fort.
Und schon ist klar, dass die Schwarmintelligenz in unserer Geschichte nicht taugt. Für jeden Antworter kann seine Meinung in seinem speziellen Fall richtig gewesen und gut gemeint sein. Muss aber nicht. Und in Summe kann der kleine Prinz die Tipps nicht umsetzten, da sie sich widersprechen.
Jetzt hat er einen Haufen Tipps und ist aber so schlau wie zuvor. Wem soll er vertrauen, welchem Tipp folgen oder soll er doch besser seinem Bauchgefühl folgen?
Und jetzt hole ich die große Strategie-Keule aus dem Sack!
Ich empfehle unserem kleinen Prinz erst einmal eine grundlegende Situationsanalyse: Wo sitzt Du eigentlich? Warum sitzt Du ausgerechnet dort? Was ist um Dich rum? Schau‘ genau hin, Sitzen noch andere auf Ihren Felsen? Was machen die? Wenn Du nix siehst, stell‘ Dich hin: Vielleicht siehst Du von oben eine Furt, auf der Du gehen hast? Ist vielleicht in einer Richtung das Meer so flach, dass Du hindurch waten kannst? Siehst Du in einer Richtung Möven? Da wird Land sein. Siehst Du ein Segel oder eine Rauchsäule am Horizont, die auf ein Schiff hoffen lässt? Ist Dein Handy-Akku noch voll, hast Du ein Telefonnetz?
Also noch mehr Fragen.
Aber auch die dazugehörenden Antworten. Aus denen entwickelt sich die Strategie, das Ziel der Reise. Und wenn Du ein Ziel hast, fällt Dir auch der Weg dahin viel leichter.
Mit jeder Antwort wird das Meer klarer, durchschaubarer. Vielleicht siehst Du wunderschöne Korallen, vielleicht aber auch riesige Haie. Wenn sich die Wolken verziehen, siehst Du sogar Land.
Und mit dem Glück des Fleißigen kommt irgendwann die Ebbe, die Dir erlaubt, trockenen Fußes loszulaufen. Oder es kommt doch der Dämpfer, der Dich mitnimmt.
Alles ist besser, als mal schnell eben in die falsche Richtung zu schwimmen.
Ich wünsche unserem kleinen Prinz viel Erfolg.