Zuletzt aktualisiert am 18. September 2024 um 11:20
Heute war wieder einer dieser wundervollen Tage, an dem ich mich bei bestem Wetter sehr freue, dass ich mit dem Fahrrad genauso schnell bei einem Kundentermin bin, als wenn ich mit dem Auto führe. Also bin ich von der Wackerfabrik nach Bessungen geradelt und habe auf dem Rückweg einen kurzen Halt auf dem Alten Friedhof gemacht. Dort hatte ich eine Begegnung, die mich zu diesem Beitrag motiviert und mir die Frage in mein Bewusstsein geholt hat: Darf man auf dem Friedhof Fotos machen?
Mir persönlich ist diese Frage eher fremd. Warum? Ganz einfach: Auf dem Bild über diesem Text sieht man meine alte Schule, das GBS. Und zwar die Fenster zum Kunstsaal. Zumindest war das in meiner Schulzeit so. Und bei gutem Wetter ging der Kunst-Leistungskurs auf Exkursion: Zum Nebenausgang aus der Schule raus – zum Hintereingang auf den Friedhof rein.
Wenige Schritte in eine märchenhafte Welt
Stellt Euch das bitte mal vor: Eben noch im unklimatisierten, stickigen Klassenzimmer und jetzt zehn Meter weiter bestes Klima auch an heissen Sommertagen unter riesigen, alten Bäumen, überall Engel – teils in Menschengrösse – und Figuren aus Marmor oder Sandstein und Ruhe. Außer dem Rauschen der Bäume kein Großstadtlärm, kaum ein Geräusch. Hier und da mal ältere Damen, die über Grabsteine hinweg die n leisem Ton ein wenig plaudern. Das Knirschen der Schubkarre des Friedhofsgärtners auf dem Kiesweg. Sonst ist Ruhe.
Der Friedhof ist Ruheoase mitten in der Stadt
Und mittendrin soll der Kunst–Leistungskurs jetzt mit Bleistift, Kohle und sonst was Dinge zeichnen. Engel und so…
Mitten in diese Idylle platzt nun, dass die Chance nicht zeichnen kann! Konnte ich nie – werde ich wohl auch in diesem Leben nicht mehr lernen.
Also habe ich mich damals mit irgendwelchen (sehr kreativen!) Referaten aus der Affäre gezogen und nicht gezeichnet, sondern fotografiert.
Und wenn die anderen zeichnen dürfen/müssen, dann darf der Jürgen ja wohl auch fotografieren. Hat ja der Lehrer gesagt. Quasi: ihm aufgetragen. Daraus folgt
Ich darf auf dem Friedhof fotografieren
38 Jahre später, also heute, bin Ich auf dem gleichen Friedhof und mach‘ einen kleinen Foto-Spaziergang. Ohne Lehrer, ohne Kunst-Leistungskurs. Nur so für mich!
Ich weiß nicht, wie oft ich das schon gemacht habe. Hier auf dem Alten Friedhof oder dem Waldfriedhof in Darmstadt oder auch in Dresden , Hamburg und vielen anderen Orten.
Und heute sehe ich ein frisch angelegtes Grab, schön somit dem Erdhügel, einem Holzkreuz und einer Schale mit Pflanzen.
Schenk‘ Blumen im Leben, denn auf dem Grab blühen sie vergebens
Bei uns zu Hause gab es ein kleines Holztäfelchen im Flur mit diesem Spruch. Die Art Deo, für die man sich als Pubertierender vor seinen Freunden schämt. So mit Lötkolben in Fraktur in Holz gebrannt. Ich finde den Spruch seit Jahrzehnten gut. (Sorry Friedhofsgärtner!)
Trauerfeier – Kranz oder Gesteck
Mir fällt auch gleich ein Artikel von Peter Wilhelm im Bestatter-Weblog ein, der dezidiert erklärt, was nach Trauerfeiern je nach Grabstelle mit Kränzen passiert und welchen Nutzen (so neumodisches Zeug) wie Gestecke haben. Also mach‘ ich das Bild.
Fotografie auf Friedhöfen ist abartig
Keine zehn Schritte weiter steht eine Frau in meinem Alter vor mir und fragt: „Was machen Sie da.“
Ich: „Fotografieren.“
Sie: „Warum?“
Ich: „Weil ich gern auf Friedhöfen fotografiere.“
Sie: „Das ist abartig!“
Zeitsprung: Eine Viertelstunde später weiß ich:
- dass ich das Grab ihres kürzlich verstorbenen Vaters fotografiert habe
- dass sie das erstens abartig findet und zweitens
- dass fotografieren auf Friedhof sowieso verboten ist, genau so wie
- dass Abstellen von Kerzen, Kränzen und Gestecken an Urnenwänden
- dass sie nur wenig beeindruckt, wie ich das Bild in meiner Kamera vor ihren Augen lösche
- dass sie rot lackierte Fußnägel in silbernen Sandalen an hat
- dass sie in einem hellblauen Sommerkleid zum Grab ihres kürzlich verstorbenen Vaters geht
- dass meine Mittagspause längst zu Ende ist und
- dass sie vielleicht einfach nur reden will…
Vielleicht hätten wir mal einen Kaffee trinken gehen sollen
Irgendwann habe ich mich dann doch losgeeist. Höflich, korrekt… aber dann doch.
Wieder was gelernt.
Und noch mehr Respekt vor all den Bestattern, die ich kenne und irgendwie auch für die anderen.
Für die sind solche oder ähnliche Begegnungen normal, passieren täglich, quasi: Alltag.
Bestatter: Hut ab!
Und so geh‘ dann ich weiter über den Alten Friedhof, besuch‘ die Grabstellen meine Eltern, und habe keine Lust mehr aufs Fotografieren. Schade eigentlich.
Zurück in der Agentur such‘ ich den Ausdruck eines Gerichtsurteils, das besagt, dass Fotografieverbote auf kommunalen Friedhöfen obsolet sind. Diesen Scheisszettel habe ich jahrelang in meinem Fotorucksack spazierengetragen und nie gebracht. Und wo ist der jetzt? Mist, welcher Fotorucksack…
Also ab nach Google und Recherchieren:
Darf man auf dem Friedhof Fotos machen?
Mein oben genanntes Urteil aus (gefühlt den 90ern des letzten Jahrhunderts) – OLG Köln? – finde ich natürlich nicht. Aber dafür ganz viel Neues.
Fotografie in der Friedhofssatzung
Die erste Suche bei Google ist banal: Alter Friedhof – Darmstadt – Friedhofssatzung
Und tatsächlich – Volltreffer: In §4 (2) d) steht, dass „Auf den Friedhöfen ist insbesondere nicht gestattet: (…) ohne Auftrag der Angehörigen eine Bestattungsfeier oder eine Grabstätte gewerbsmäßig zu fotografieren oder zu filmen“
Hallo? Was heißt denn „gewerbsmäßig“?
Der gute alte Duden sagt dazu: „als Gewerbe (1) betrieben; auf regelmäßigen Erwerb ausgerichtet, bedacht“
Wenn ich also auf Friedhöfen fotografiere ist definitiv „auf regelmäßigen Erwerb ausgerichtet“ weder Motivation, geschweige denn ein meine Familie und mich ernährendes Geschäftsmodell. Ich steh‘ ja nicht mit den Fotoabzügen vorm Friedhofstor und will die verkaufen um meinen Lebenserwerb zu bestreiten!
Daraus folgt:
Darf man auf dem Friedhof Fotos machen? Ich meine: Ja!
Aber – hallo? Ich rede nicht von Trauerfeiern, Trauergästen und Menschen generell! Die sind auf dem Friedhof – noch mehr als sonst – passé! Absolutes Nogo!
Für alle, die intensiver an dem Thema interessiert sind, folgen nun ein paar Quellen/Links, deren Lektüre mich bestätigt haben, den Beitrag so zu schreiben.
Den Autoren und Verlagen vielen Dank!
Friedhofskultur J i 2015
„Die bildliche Wiedergabe von Grabsteinen verletzt weder das sogenannte postmortale Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen noch Persönlichkeits-, Besitz- oder Eigentumsrechte des Nutzungsberechtigten, der Angehörigen oder des Friedhofs. Vielmehr erlischt auch das Recht auf Datenschutz mit dem Tode. Demgemäß bestehen weder Unterlassungs- noch Schadensersatzansprüche (§ 823 Abs. 1, §§ 1004, 903 BGB). Wohlbemerkt, es bedarf auch keiner Verpixelung oder Unkenntlichmachung der persönlichen Daten des Verstorbenen. Auch eine Verbreitung im Internet sowie die Nutzung der Fotos zu Werbezwecken sind erlaubt.
Veröffentlichungen von Grabstein-Fotos auf Webseite erlaubt
Amtsgericht Mettmann – Urteil v. 16.06.2015 – Az.: 25 C 384/15
Leitsatz: Die Veröffentlichung von Grabstein-Fotos auf einer Webseite ist grundsätzlich erlaubt.
Am Geilsten find‘ ich ja, dass trotz vielen gleichlaufenden, oder zumindest ähnelnden, Satzungstexte kommunaler Verwaltungen – zirka 25.000 Google-Treffer – , ein vermeintlicher (!) Friedhofsverband sogar einen Fotowettbewerb auslobt 😉
Wer Interesse hat, ich habe noch mehr Quellen…
Kleiner Tipp für Bestatter
Ihr seid jeden Tag auf Friedhöfen: Das Eichhörnchen auf dem historischen Grabmal, das Sonnenlicht durch alte Bäume, die Kiesel auf dem Grabstein…
Jeden Tag kostenlose Motive, für die Ihr keine Profikamera braucht. Macht was draus…
Als Verbotsbegründung immer wieder gern genutzt, wird die „kommerzielle Nutzung“ von Fotos. Aber Obacht: Das steht so wahrscheinlich nicht in der Satzung 😉
Wenn nicht, gibt’s ja auch für kleines Geld (von Leuten, die es nicht als Gewerbe betreiben!) Fotos nach Wahl.
Zum Beispiel bei Istockphoto oder bei
Zum Thema „gewerbsmäßig“ noch Fragen?
Darf man auf dem Friedhof Fotos machen? Share on XAber das ist ein anderes Thema…
Manche Friedhöfe haben echt schöne Grabsteine. Es ist spannend, dass du nach 38 Jahren dann doch herausgefunden hast, dass man auf Friedhöfen fotografieren darf. Aber ich kann verstehen, dass dies ein kontroverses Thema ist. Ich habe auch selber schon Fotos auf Friedhöfen gemacht und würde es auch wieder tun.
Hallo Herr Wolf, mich würde sehr interessieren ob Sie auch von rechtlicher Seite noch eine Quelle für mich haben. Man findet viel über Dauer und Pacht von Gräbern aber generell wenig zum Thema Video/Foto-Nutzung.
Toller Artikel, sehr gut mit dem Überschriften, das hat das Lesen ungemein erleichtern.
LG
Mit dem Titel „Fotografieren erlaubt“ gibt es einen passenden Artikel im PC Magazin, in dem es einleitend heisst: Ein generelles Fotografierverbot im öffentlichen Raum ist unwirksam.
In den meisten Friedhofssatzungen ist aber Fotografieren zu gewerblichen Zwecken untersagt. Und da hat der Hausherr nun mal das Sagen. Was auch immer „gewerblich“ heisst 😉
Die rechtliche Zulässigkeit des Fotografierens von Friedhöfen ist ein spannendes juristisches Thema und ich freue mich, dass ich einen Beitrag dazu gefunden habe. Ich habe oft Grabsteine mit besonders klugen und witzigen Überschriften gefunden und wollte Fotos von ihnen machen. Ich habe aber aus Angst vor rechtlichen Problemen immer davon abgesehen. Nun weiß ich, dass ich deren Fotos nicht mal verpixeln muss!
Danke. Gibt sogar einen Schwarz-Weiß Fotoband Friedhöfe
https://www.amazon.de/morbide-Sch%C3%B6nheit-Friedh%C3%B6fe-morbid-cemeteries/dp/3954625180/ref=sr_1_4?s=books&ie=UTF8&qid=1552394227&sr=1-4&keywords=friedh%C3%B6fe#reader_3954625180
Danke für das berührte Thema! Für mich ist der Grabstein eher ein Ort zur Erinnerung https://www.walserstein.at/ Die Oma selbst lebt doch in meinem Herzen, deswegen kommt ihr letztes Foto als Erinnerung bestimmt aus meinem Herzen:) Danke für die Anregungen zum Nachdenken!
Den o. g. Zettel hab‘ ich doch noch gefunden. Das Urteil war vom OLG Brandenburg vom 18.02.2010 – zu finden hier: https://openjur.de/u/32149.html