NÀchsten Sonntag sind Bundestagswahlen. Ich habe bereits per Briefwahl gewÀhlt und dem heutigen Sonntag der Frage gewidmet: Was wÀhlt der Wolf?
Ich habe nahezu 50 Jahre aus meinem Leben versucht zusammenzufassen, die mich dahin gebracht haben, wo ich heute bin. Und das will ich nun teilen:
Ich fang ganz vorne an â mit meiner Kindheit
Ich hatte das GlĂŒck und das Privileg, eine traumhafte Kindheit zu haben mit all dem, was man ein sicheres Nest nennt. Politik spielte bei uns zu Hause keine groĂe Rolle – auĂer vielleicht, dass Wahlrecht auch eine BĂŒrgerpflicht ist.
Ich komme aus einem zur damaligen Zeit klassischen Elternhaus: der Vater Beamter, die Mutter Hausfrau. Und ich wĂŒrde es mal zur damaligen Zeit als sozial-liberales Umfeld bezeichnen. Und da das Wahlgeheimnis ein hohes Gut war, haben wir nie darĂŒber gesprochen, was meine Eltern gewĂ€hlt haben.
Jugend: Der kleine âNachwuchs Revoluzzer Lightâ
An der Grenze von Kindheit zu Jugend sind mir einige Situationen aufgefallen, bei denen ich mich sogar als kleiner âNachwuchs Revoluzzer Lightâ bezeichnen wĂŒrde. TatsĂ€chlich bekam ich meine erste Heilige Kommunion ohne jemals in einer Beichte gewesen zu sein. Auch wenn ich heute keine Ahnung habe, wie ich das angestellt habe.
Auf meiner ersten Demo war ich mit 13. Damals gingâs um die Oberstufenreform in Hessen. âWallmann heisst er, uns besch⊠erâ oder so Ă€hnlich. Am Abend gab es zu Hause komisch Fragen, weil ich am Ende der Demonstration mit dem Bus mitgefahren bin, der die Lautsprecher gefahren hat und der kam von der DKP. Ich wusste nicht, was DKP war, aber ich fand im Bus mitfahren cool und die Leute war auch nett.
Auch eine Wahl: Mensa oder Demo statt Schule
In Richtung Abi hatte ich nur eine Angst â dass mir wegen zu viel Abwesenheitszeit möglicherweise ein Kurs fĂŒr die Zulassung fehlen wĂŒrde.
In der Oberstufen-Zeit gabâs FĂ€cher, in denen wir nicht anwesend sein mussten, wenn wir angaben, an der Stadtbahn West zum demonstrieren zu sein. SpĂ€ter nannte man das wohl âDemo-freiâ. Was man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann.

Irgendwann war ich volljĂ€hrig und durfte zum ersten Mal wĂ€hlen. Und auch da hatte ich GlĂŒck, weil zu meiner ersten Bundestagswahl 1983 haben sich zum ersten Mal die GrĂŒnen aufgestellt und ich konnte mit meinem Werteempfinden von Pazifismus und Ăkologie eine Partei wĂ€hlen, die neu war, die sich quasi gegen die alten gestellt hat, die fĂŒr Erneuerung stand. Damals mit einer jungen Petra Kelly und einem alten Gerd Bastian.
Und da ich irgendwie auch zu einer gewissen Form von KontinuitĂ€t neige, waren die GrĂŒnen dann auch fast 40 Jahre lang meine politische Heimat.
Irgendwann haben sich dann die linken ein bisschen dazu gesellt. War ursprĂŒnglich wohl auch an Sarah âLecker-HĂ€schenâ Wagenknecht gelegen haben mag. âLecker-HĂ€schenâ ist eine Hommage an Horst Schlemmer und so etwas wĂŒrde ich heute weder denken, geschweige denn sagen.
Dann, vor etwa zehn Jahre war es die Anstalt im ZDF, die es geschafft hat, mich ein wenig zur Politisieren. Weil ich es unfassbar fand, dass unter dem Deckmantel des Klamauk, besser: der Satire, so viele unschöne Dinge in unserer Gesellschaft aufgedeckt wurden. Zu spÀter Stunde lief im öffentlich-rechtlichen Fernsehen unter Satire etwas, was man inhaltlich sehr wohl RealitÀtsbeschreibung nennen kann. Ich erinnere mich noch dunkel an eine Folge (5. Dezember 2017), bei der es um den Pflegenotstand ging.

Ja, und dann kam Thilo. Es ist jetzt wohl sechs Jahre her. Es mĂŒsste demnach 2019 gewesen sein, als ich auf YouTube das Format âJung & Naivâ kennen lernte. FĂŒr mich war Tilo Jung auch ein sympathischer kleiner Revoluzzer, der sich mit den, der sich einfach sehr, sehr viele interessante Menschen vor sein Mikrofon geholt und nicht locker lieĂ.
Dann warâs wohl im MĂ€rz 2019 die Ăbertragung der Bundespressekonferenz mit der PrĂ€sentation von âScientists for Futureâ. Und was da Maja Göpel, Eckhard von Hirschhausen und Louisa Neubauer von sich gegeben haben, hat mich stark beeindruckt und Maja war dann auch zum Interview bei Jung & naiv.

Tja und in den letzten Jahren hab ich dann irgendwann meine politische Heimat verloren. Ich weigere mich zu glauben, dass Politik eben ein schmutziges GeschĂ€ft ist und man nichts dagegen tun kann, Kompromisse halt. Aber fĂŒr mich hat sich die Ampel unwĂŒrdig von der FDP vorfĂŒhren lassen, was am Ende dazu fĂŒhrte, dass die SPD fĂŒr mich (seit Schröder) nicht mehr sozial ist und die GrĂŒnen weder pazifistisch noch ökologisch sind.
Das brachte einiges ins Wanken. Gut, jetzt muss ich dazu sagen, dass ich quasi in den letzten Jahren eine Scheidung, Coaching beziehungsweise eine Therapie hinter mich gebracht habe und mich auch sehr viel mit meinem Werten beschÀftigt habe. Und jetzt sehr, sehr froh und klar bin, was mir in meinem Leben wichtig ist.
Dann kam irgendwann die Linke auf die BĂŒhne

Und wieder war es ein Interview bei Jung & Naiv. Diesmal mit dem Vorsitzenden Jan van Aken, dem ich sehr gut zugehört habe.
SpÀtestens seit so komischen Menschen wie Elon Musk, fand ich seine Idee, MilliardÀre abzuschaffen mehr als sympathisch.
Und da ich in unserer Gesellschaft eh einiges âunstimmigâ finde und mich frage, wann sich hier mal was – zum besseren – entwickelt, habe ich mich bisschen mehr mit der Partei beschĂ€ftigt.
Ein paar Mails mit einer Frau vom Kreisverband bei mir hier vor Ort und ein FrĂŒhstĂŒck spĂ€ter bin ich sogar Mitglied geworden.
Ja – was wĂ€hlt der Wolf? Die Linke.
Und ich habe das Privileg zu wĂ€hlen, wie ich mir meine letzten Autos gekauft habe: Ich sortiere alles aus, was nicht infrage kommt und was ĂŒbrig bleibt, wirdâs halt. Fertig!
PS
FrĂŒher lautete eine Regel: Ăffentlich wird nicht ĂŒber Krankheiten und Politik geredet.
FrĂŒher war frĂŒher und heute ist heute.
Und heute halte ich es fĂŒr ausgesprochen sinnvoll, öffentlich ĂŒber Politik zu reden.
Auch wenn meine Rede kein Schwein interessiert đ