Zuletzt aktualisiert am 18. September 2024 um 11:07
Es war ein ganz normaler Nachmittag an einem Tag im Juni, der mein Leben stark verändern sollte: Es klopfte an meine Bürotür.
Schon das war ungewöhnlich, wurden doch Besuche sonst von den Damen am Empfang angekündigt und in charmanter Begleitung in einen Besprechungsraum oder in die Büros geführt. Nach meinem “Ja, bitte” trat der Leiter des Office-Centers ein und bat mich kurz zu einer Besprechung in den kleinen Konferenzraum.
Für die, die noch nie in einem Business-Center gewesen sind: Solche Einrichtungen sind wohl am ehesten mit professionellen Bürogemeinschaften zu beschreiben, bei denen sich die Mieter Infrastruktur und Personal teilen. Organisiert und zusammengehalten wird das Ganze von einer Betreiberfirma. Neben Briefkasten (Firmensitz), Empfang, Telefonzentrale, Sekretariat, Kaffeeküchen und tipp-top-sauberen Toiletten gibt es auch Konferenzräume unterschiedlicher Größe. Einen der kleinen steuerten wir nun gemeinsam an.
Dort saßen eine Handvoll dunkler Anzüge mit Krawatte und ein adrettes Businesskostüm. Es ging in dieser Runde wohl gerade irgendwie um die Themen Corporate Design im Allgemeinen und Visitenkarten im Speziellen und deshalb stand ich wohl auf dem Plan: Jürgen Wolf – Geschäftsführer der gleichnamigen Agentur für integrierte Marketingkommunikation – Nachbar, von drei Türen weiter den Gang entlang rechts.
Ein sympathischer Anfangdreissiger hielt mir den Entwurf eines Logos vor die Nase und fragte mich, was ich denn davon hielte.
Au weia.
Andere schlecht zu machen, um selbst besser da zu stehen ist genauso wenig mein Ding, wie neuen Kontakten erst einmal das eigene Logo mies zu machen, um dann sowieso erst einmal alles neu machen zu müssen. Man muss ja auch nicht gleich jedes Klischee bedienen, oder?
Ich erinnere mich an eine mir nicht nachvollziehbare Anordnung geometrischer Formen in zeitlosen Pastelltönen. Von Kreativität, Farb- und Formharmonie oder gar Konzeption keine Spur und handwerklich unterste Schublade. Jeder, der mit einem Textverarbeitungsprogramm Kreise und Dreiecke auf ein Blatt bekommt, könnte so was, auch wenn sie oder eher er noch ein paar Jahre der deutschen Schulpflicht unterliegen würden. Also sagte ich mit dem Brustton der Überzeugung – Ehrlichkeit gewinnt! – “Ich weiß nicht, wem ich jetzt hier vielleicht auf die Füße trete, aber – Entschuldigung – das ist unterirdisch!
Sprach‘s, wünschte noch eine erfolgreiche Konferenz, drehte mich um und ging raus; wieder an meine Arbeit.
Gut zwei Stunden später klopft es wieder an meine Tür. Es war mittlerweile bereits halb acht durch und in den Büros um mich herum merklich leiser geworden. Anständige Leute machen schließlich spätestens um sieben Feierabend…
Ich stehe auf und öffne die Tür. Der Fremde mit dem hässlichen Logoentwurf steht vor mir. „Was meinten Sie vorhin mit unterirdisch?“ fragt er mich mit einer Miene, die ich irgendwo zwischen angesäuert und schelmisch einordnen würde.
„Nehmen Sie doch bitte Platz“ sage ich und zeige auf die kleine Besprechungsecke in meinem Büro. „Einen Kaffee oder was Kühles?“ frage ich. Wir nehmen Platz und die kurze Konversation hat ausgereicht, mich zu sammeln und meinen kleinen Stegreif abzuliefern: Das Logo als Bestandteil des Corporate Designs – bitte nicht zu verwechseln mit der Corporate Identity – die Königsdisziplin des Designs, dass ein Logo heute nicht mehr Rückschlüsse auf die Branche geben muss – wie ehedem zum Beispiel bei BMW, Bosch und Mercedes – dass es neben Farben und Formen im Design um Reduktion aufs Wesentliche geht. Ja – dass es auch handwerkliche Qualitäten an einem Logo gibt, denken Sie an Umsetzungen in weniger Farben – Stempel – oder anderen Größen – Wie sieht es riesig auf einer Hausfassade oder miniklein auf einem Kugelschreiber aus? Und dann kommt ja auch noch Ästhetik dazu und dann sind wir leider bei den persönlichen Empfindungen und auch beim Geschmack, über den man ja bekanntlich nicht streiten soll. Und außerdem soll der Kunde ja auch zufrieden und stolz mit dem Werk die nächsten Jahre glücklich sein…
Ich weiß nicht mehr, wie lange mein Monolog dauerte und wie lange mir mein Gegenüber tatsächlich bei meinen Ausführungen gefolgt ist. Aber als ich für‘s Erste ende und ihn anschaue fragt er mich: „Können Sie es besser?“
„Ja, das kann ich“ sage ich „dafür bin ich ja da“.
Er: „Wie lange dauert dass? Ich habe bereits drei Grafiker und Agenturen verschlissen und bin‘s langsam leid.“
Ich: „Wenn Sie mitziehen was Beauftragung und Anzahlung angeht – wegen mir eine Woche.“
„So machen wir das“ sagt er und drückt mir zum Abschied eine Visitenkarte in die Hand.
Jetzt wird es allerdings richtig gruselig: Auf der Visitenkarte dominieren schwarze Striche, pastellige lila Farbflächen sowie ein gotisches Kirchenfenster. Der Firmenname in Vollton Lila mit Schatten und darüber und darunter mit Trennstrich geteilt die Firmierung – der Mann ist Bestatter.