Zuletzt aktualisiert am 18. September 2024 um 11:33
Bei Fotokonzepten empfehlen wir von Zeit zu Zeit, es „mal richtig menscheln“ zu lassen. Bedeutet – Personen möglichst unspektakulär, ungekünstelt und sympathisch darzustellen. Egal ob Geschäftsleitung oder Mitarbeiter – Authentizität ist angesagt!
Und in einer solchen Mission war ich einen Tag mit Mitarbeitern eines Bestattungshauses unterwegs, um Momentaufhmen aus deren Alltag zu schießen.
In meinem schwarzen Werberanzügle seh‘ ich eh oft aus wie ein Bestatter. Heute ging ich dann mal an die Front!
Front ist jetzt bitte nicht falsch zu verstehen: Auch wir Mareketingmenschen sprechen humorig von der Front, wenn wir unsere gemütlichen Agentursessel verlassen um am echten (Arbeits-) Leben vor Ort teil zu nehmen… Als Marketingberater im Bestattungswesen seit über acht Jahren aktiv, war ich schon oft „mit Bestattern“ unterwegs. Hier und dort…
Und natürlich wirkt unsere Beratung auch oft in den Arbeitsalltag des jeweiligen Bestattungsuntnernehmen. Betrifft alle Mitarbeiter. Da ist es aus vielen Gründen hilfreich, zu wissen von was man redet 😉
Und jetzt halt mal rein in die Praxis: Was als – ich geh‘ mal mit jedem mit und mach paar hübsche Schnappschüsse – geplant war, wurde zu einer richtig großen Erfahrung für mich.
Nach acht Jahren Arbeit für Bestatter, Zulieferer, Krematorien und Friedhöfe, halte ich mich für recht „Bestatteralltag-tauglich“: Särge, Urnen, Abschiedsfeiern, hier und da mal trauernde Angehörige oder ein aufgebahrter Verstorbener, sind für mich – eigentlich branchenfremden – kein wirkliches Problem. Mehr.
Als ich also morgens um acht (!) auf der Matte stehe, geht’s im Bestattungshaus schon zu wie im Taubenschlag!
Was ich erst später erfahre:
– schon um sieben in der Früh fragt eine Kundin (beim Bestatter heißt sie Angehörige, laut Gesetz Bestattungspflichtige) telefonisch, ob sie für Ihren verstorbenen Mann einen neuen Anzug, den müsste sie aber erst noch kaufen und könnt‘ dann so gegen elf da sein, bringen kann.
Nein, da sind bereits andere Familienangehörige zur offenen Aufbahrung angemeldet.
– dass in dieser Nacht drei Familien angerufen haben: eine Hausabholung am Vormittag, eine besser erst am Nachmittag, der Dritten ist es Wurscht, im Krankenhaus gibt’s eh ne Kühlung im Keller.
– dass an dem Tag zwei Abschiedsfeiern – eine in der eigenen Trauerhalle, eine in einer Kirche am anderen Ende der Stadt – mit anschließenden Beisetzungen stattfinden,
– zwei Vorsorgetermine anstehen
– eine Mitarbeiterin wegen Krankheit ihres Kindes heute mal zu Hause bleiben will und
– das gestern besprochen und geplante Tagesgeschäft auch noch nebenbei gemacht werden will.
Mittags habe ich dann den Aufbau einer Trauerfeier fotografiert und mich dann presto zurückgezogen.
Die Abschiedsfeier eines jungen Kerls, der an Krebs gestorben ist, bevor er erwachsen war. Böser geht’s kaum. Wie Eltern das verarbeiten ist unvorstellbar. Aber auch allen anderen geht’s schwer an die Nieren. Statt der von den Eltern angekündigten 30 bis 50 kommen mehr als 120 Personen zur Abschiedsfeier.
Als alle weg sind zum Friedhof, helfe ich die Deko abzubauen, trage fast eine Stunde Material zum Deko-Bus und fege die Reste der Herbstlaub-Dekoration raus.
Ich fege eine Kirche?!?
Ist das jetzt Belohnung oder Strafe?
Wurscht. Mein Fototermin geht weiter – am Abend fahr ich drei Stunden nach Hause und sitze um halb neun völlig aufgewühlt auf dem Sofa.
Großartige Bilder sind mir gelungen, aber darum kümmere ich mich morgen.
Zwei Dinge will ich noch zu guter Letzt anmerken:
1. Vor jedem Mitarbeiter ziehe ich den Hut – Ihr macht einen Wahnsinnsjob. Respekt!
2. Wer so (s)ein Geschäft führt, muss den Menschen an sich eine riesige Wertschätzung entgegenbringen, Nächstenliebe quasi als Vorschuss.
Und dann auch noch jeden Tag aufs Neue Herz und Leidenschaft, Professionalität und individuelles Einfühlungsvermögen in den Ring werfen ist ganz großes Kino. Chapeau!